September 2018 (Vorleben)

 

Jetzt sind inzwischen tatsächlich anderthalb Jahre seit unserer Auswanderung vergangen und unverändert haben wir diesen großen Schritt keine Sekunde bereut. Häufig werden in diesem Zusammenhang viele Fragen an uns gerichtet wie beispielsweise: Vermisst Ihr nichts? Was habt Ihr vorher gemacht? Warum ausgerechnet Ägypten? Was ist mit Eurer Rente? Habt Ihr alles in Deutschland aufgegeben? Was ist im Krankheitsfall? Gern möchten wir auf diese Themen eingehen. Da wir monatlich immer mit vielen Fotos aus unserer neuen Heimat berichten, garnieren wir den aktuellen Beitrag zum Vergleich mit Aufnahmen aus unserem "vorherigen" Leben.

 

 

Ein Gast mutmaßte einmal, dass Auswanderer vor irgendetwas flüchten. Wir können nichts zu Beweggründen von anderen Ausbüchsern sagen, aber für uns trifft diese These mit Sicherheit nicht zu. Im Gegenteil - oberflächlich betrachtet ging es uns sehr gut und wir hatten viele Annehmlichkeiten. Jedoch haben uns der Alltag irgendwann nicht mehr erfüllt und materielle Dinge nicht glücklich gemacht. Hinzu kam die Tatsache, dass wir nur ein Leben haben, Fernweh, die Erfahrungen unserer vielen Reisen und als letzter Auslöser unsere Erlebnisse während des halbjährlichen Sabbaticals außerhalb Europas vor zwei Jahren.  

 

 

Schon vorher war uns klar, dass eine Auswanderung nicht nur Vorteile, sondern auch Verzicht und Ungewissheit mit sich bringen. Betrachtet man die Fotos auf dieser Seite, so handelt es sich überwiegend um Besitztümer, Hobbys und Leidenschaften, die wir in Ägypten in dieser Form nicht haben. Unsere Arbeitskleidung hat sich komplett verändert, Gala ist hier nicht angesagt und Besuche vom HSV oder auch Konzerte (beispielsweise U2, die wir durch halb Europa begleitet haben!) fallen ebenfalls weg. Ganz abgesehen von Freunden und Familienmitgliedern, die weit weg sind. Und dennoch - wir haben all dieses bewusst eingetauscht gegen ein Leben, welches uns vor allem emotional deutlich mehr berührt. Nun zur Beantwortung der typischen Fragen (und vielleicht auch einer kleinen Hilfe für ähnlich Denkende...):  

  

 

Was habt Ihr vorher beruflich gemacht?

 

Katy und ich waren beide in Hamburg in der Immobilienbranche bei Grossmann & Berger tätig, einem Unternehmen mit langer Tradition und zugleich Marktführer in dem Segment. Mit 15 bzw. 20 Jahren Dienstzugehörigkeit gehörten wir schon zum "alten Eisen", was irgendwann zum halbjährlichen Sabbatical in 2016 führte. Obwohl wir beide leitende Positionen inne hatten und es eine solche Umsetzung zuvor noch nicht gab, wurde uns die Erfüllung des großen Wunsches ermöglicht. Dafür sind wir unverändert sehr dankbar. G&B hatte sich den Ausgang natürlich anders vorgestellt, war aber dennoch sehr entgegenkommend und respektvoll beim Umgang mit unserer Kündigung in Verbindung mit unserem neuen Lebensziel.  

    

 Habt Ihr in Deutschland alles aufgegeben?

 

Im Prinzip ja. Unsere Wohnung inklusive des gesamten Hausstandes und der Möbel haben wir aufgelöst bzw. verkauft, sämtliche Verträge und Abo's gekündigt. Einige Dinge, die uns am Herzen lagen, haben wir deponiert und das Verbleibende kam mit sieben Gepäckstücken mit uns nach Hurghada. Bewahrt haben wir eine Meldeadresse und über einen Nachsendeauftrag landet Post bei einer uns vertrauten Person, die wichtige Dinge einscannt und per Mail weiterleitet. Im Vorwege haben wir uns bemüht, sämtliche Zustellungen und hier vor allem Werbung und Prospekte abzublocken, was sich als gar nicht so einfach herausgestellt hat. Es ist schon unglaublich, wieviele Firmen sich über den Wunsch des Stoppens von Versendungen einfach hinwegsetzen.

 

  

 

Was ist mit Eurer Rente? Zahlt Ihr weiterhin ein in die Rentenkasse?

 

Der Vorteil für uns ist, dass wir die Auswanderung eher antizyklisch betrieben haben. Während viele in jungen Jahren diesen Schritt machen, erfolgte er bei uns im, diplomatisch ausgedrückt, gesetzteren Alter. So haben wir bereits Rentenansprüche gesichert, die in einem Land mit geringen Lebenshaltungskosten (wie beispielsweise Ägypten, Afrika im Allgemeinen oder große Teile von Asien) nach derzeitigem Stand für uns ausreichend wären. Weitere Einzahlungen in die Rentenkasse tätigen wir nicht, jedoch betreiben wir unverändert private Vorsorge. Themen wie Abzüge, Versteuerung oder Erwerbsunfähigkeit sind uns vertraut, lassen wir aufgrund der Komplexität in diesem Bericht aber mal außen vor.

   

 Was geschieht im Krankheitsfall?

 

Für diesen Fall haben wir zu einem moderaten Monatsbeitrag eine weltweit gültige Krankenversicherung abgeschlossen. Diese beinhaltet unter anderem Schutz auch in schwerwiegenden Fällen und leistet sogar bis zu sechs Wochen bei Behandlungen in Deutschland. Bei bisherigen Arztbesuchen in Hurghada haben wir hervorragende Erfahrungen gemacht. Ob Routineuntersuchung oder notwendiger Zahnersatz - selbst am späten Abend sind Behandlungen auf absolut kompetente Art und Weise zu unglaublich niedrigen Kosten üblich. Als Beispiel sei eine neue Krone genannt für umgerechnet unter 100,- Euro oder das erfolgreiche Lasern der Augen eines Kollegen in einer Spezialklinik in Kairo für ca. 300,- Euro!

 

  

 

Vermisst Ihr nichts?

  

Wie schon etwas weiter oben beschrieben, beinhaltet eine Auswanderung auch Verzicht. Als erstes sind hier natürlich liebgewonnene und wichtige Menschen zu nennen, die wir in Deutschland zurückgelassen haben. Das schöne ist, dass uns sowohl unsere besten Freunde als auch Familienmitglieder nahezu komplett mindestens einmal in unserer neuen Heimat besucht haben und Wiederholungen geplant sind. Außerdem macht die heutige Technik (Internet, Facetime, Messenger etc.) die Welt ohnehin etwas kleiner. Was andere Dinge angeht (siehe Fotos), gehören wir zu den Menschen, die nicht über das hadern, was nicht ist, sondern sich an dem erfreuen, was man hat. Kälte und Regen bzw. die unterschiedlichen Jahreszeiten fehlen uns unverändert nicht. 

  

Wie sind die Einkaufsmöglichkeiten?

 

Ausreichend, wenn auch natürlich anders als in Deutschland. Genau gegenüber von unserem Apartment befindet sich ein Lebensmittelmarkt, der zwar keine riesige Auswahl hat, aber dennoch die Dinge für den Bedarf des täglich Lebens beinhaltet. Vorteilhaft ist die Öffnungszeit bis tief in die Nacht hinein. Darüber hinaus gibt es etliche Läden mit nachgemachter Ware, aber auch Boutiquen mit ansprechenden Produkten. Bekannt ist die "Senzo Mall", ein Einkaufszentrum mit europäischem Flair. Hier kann man nahezu alles erwerben. Vieles ist deutlich günstiger als in Deutschland, hingegen Artikel, die importiert werden, teurer sind (beispielsweise Markenware, Schokolade, Gummibärchen). Ein großer Dank geht an alle Freunde und Gäste, die immer wieder Bestellungen von uns entgegennehmen und entsprechendes aus Deutschland mitbringen! 

 

   

 

Verdient Ihr genug zum Leben?

 

Wir kommen mit unserem Einkommen gut zurecht. Zwar können wir nicht mehr die großen Sprünge machen wie noch in Deutschland, jedoch ist unser Verdienst ausreichend, um unser Leben nach unseren Vorstellungen zu gestalten. Nach ägyptischen Maßstäben befinden wir uns sogar im oberen Bereich der Skala, besuchen wir jedoch die alte Heimat, so wird es teuer und das Verhältnis klafft weit auseinander. Der Vorteil ist das Schätzen des Geldes. Erhalten wir beispielsweise ein Trinkgeld in Höhe von 10 Euro, so bedeutet dieses für uns ein leckeres Essen zu zweit in unserem Stamm-Restaurant oder aber am freien Tag eine schöne Zeit am Strand mit allem drum und dran. Äußerst nett ist auch die fast tägliche Einladung von Gästen zu einem Getränk nach der Rückkehr vom Tauchen in die Basis.

  

Wie macht Ihr das mit Essen bzw. wie ernährt Ihr Euch?

 

Morgens machen wir uns ein gesundes und glücklicherweise gemeinsames Frühstück. Ich bekomme am Tage kostenfreies Essen auf dem Boot, während die Maus sich meist genügsam ernährt wie das Tier, welches für ihren Kosenamen sorgt. Abends gehen wir gern in eines der umliegenden Restaurants mit leckeren und zugleich bezahlbaren Gerichten. Lust zum Kochen ist nach einem langen Arbeitstag eher nicht vorhanden. Wenn, dann gibt es mal eine Brotzeit oder etwas schnelles zum Überbacken. Der Heißhunger auf Süßigkeiten nach dem Tauchen und die Nähe zu Mc Donalds, KFC oder Pizza Hut sorgen dafür, dass wir (trotz des nicht unerheblichen Kalorienverbrauches) nicht weiter abnehmen. Außerdem gibt es hier ausgezeichnete Chips....

  

  

 

Habt Ihr Euch das alles gut überlegt?

 

Diese Frage bringt uns meist zum Schmunzeln und spontan würden wir am Liebsten antworten: "Nein, die Entscheidung ist unter starkem Alkohol- und Drogeneinfluß zustande gekommen, wurde auf einem Bierdeckel verbindlich unterzeichnet und anschließend gab es kein zurück mehr!" Da wir zum einen höfliche Menschen sind und zum anderen die Frage mal aus Sorge, mal aus der Überraschung oder ernsthaftem Interesse heraus entsteht, erläutern wir gern unsere Beweggründe als auch die Tatsache, dass zumindest aus unserer Sicht alles bestens vorbereitet und wohl überlegt erfolgt ist.

   

Wieso ausgerechnet Ägypten?

 

Unsere freundlich formulierte Gegenfrage lautet dann meist: Wieso nicht? Natürlich überrascht die Frage nicht so ganz. Ägypten wird in deutschen Medien seit einigen Jahren nicht besonders positiv dargestellt. Der Sensationsjournalismus zeichnet meist das Bild eines unsicheren sowie sogar riskanten Urlaubszieles und muslimisch geprägte Länder stehen in der Gunst derzeit ohnehin nicht weit oben. Tatsächlich handelt es sich überwiegend um Klischees, die wir (auch ohne rosarote Brille) so nicht bestätigen können. Ohne Frage ist der Kontrast, aus Deutschland kommend, in vielerlei Hinsicht sehr groß und wir respektieren jeden der sagt: "Das kann ICH mir nicht vorstellen!". Muß ja auch nicht. Im Rahmen von Toleranz sollte jeder selbst entscheiden, wie er sein Leben gestaltet und sein persönliches Glück definiert.

  

Abschließen möchten wir den heutigen Blog mit einem Foto aus vergangenen Tagen, welches wir in Hurghada mit Sicherheit nicht nachstellen können. In diesem Sinne - ganz liebe Grüße von Euren Riecks!